Offener Brief an Tanit Koch

Als Anfang 2016 Tanit Koch die neue Chefredakteurin der Bild-Zeitung wurde, wendeten wir uns mit einem offenen Brief an sie.

 

"Sehr geehrte Frau Koch,

 

wir möchten Ihnen sehr herzlich zu Ihrer neuen Position als BILD-Chefredakteurin gratulieren. Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, Mathias Döpfner, glaubt, dass Sie neue Akzente setzen werden. Besonders im Zeichen der Gleichberechtigung ist Ihre Berufung ein wichtiger Schritt, denn auch heute werden noch um die 90 Prozent aller deutschen Medien von Männern geleitet.

 

Als Europas größte Zeitung hat BILD einen immensen Einfluss auf das Klima in unserer Gesellschaft – BILD erreicht alleine in der Printausgabe bis zu 12 Millionen Menschen täglich. „Bild dir deine Meinung“ – der immense Einfluss Ihrer Zeitung auf innergesellschaftliche Stimmung, Verhalten sowie Wertvorstellungen ist kein Geheimnis. BILD hat alle Möglichkeiten, um ein gesellschaftliches Klima der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Respekts aufzubauen und zu fördern.

 

Diese Möglichkeit wurde bisher nicht genutzt. Im Gegenteil: BILD setzt tagtäglich darauf, bestimmte Personengruppen zu diskriminieren – allen voran Frauen. Die Degradierung von Frauen und Mädchen kennt dabei kaum Grenzen. Ob Politikerinnen, Künstlerinnen oder Sportlerinnen: Frauen wird – wenn denn über Sie berichtet wird – jegliche Expertise abgesprochen. Ungeachtet ihres persönlichen Handelns werden sie von BILD gezielt auf ihr Äußeres und ihre Sexualität reduziert.

 

Wir haben zwei Monate lang ganz genau nachgezählt: Durchschnittlich tauchen in einer Bildzeitung 155 Abbildungen von Personen auf. Nur ca. ein Drittel davon sind Frauen (34 Prozent Frauen, 66 Prozent Männer). Im Sportteil liegt der Männeranteil bei 83,6, in „Politik/Wirtschaft” bei 76,4 Prozent. Auf der anderen Seite sind 77,1 Prozent der nackten Personen und 83,5 Prozent der leichtbekleideten Personen weiblich. Die Mehrheit der abgebildeten Frauen ist im Unterhaltungsbereich zu finden, meist nackt, degradiert und sexualisiert.

 

Organisationen wie die Vereinten Nationen haben den Kampf gegen medialen Sexismus auf ihre Agenda gesetzt. Denn zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen medialer Objektifizierung und Degradierung auf der einen und alltäglicher Diskriminierung und Gewalt auf der anderen Seite. BILDs Sexismus fördert ein gesellschaftliches Klima, in dem Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen akzeptiert und gefördert wird. Die Statistiken sind alarmierend: In einer Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ergab sich, dass jede dritte befragte Frau (33%) seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren hat und mehr als die Hälfte bereits sexuell belästigt wurde. Eine Erhebung in Deutschland ergab sogar noch höhere Werte.

 

Unsere Kampagne kämpft seit 2014 gegen medialen Sexismus, vor allem in der BILD. Wir befürworten die Presse- und Meinungsfreiheit, die zu den Fundamenten unserer Demokratie gehören. Sexismus ist jedoch, wie jede andere Form der Diskriminierung, weder Inhalt noch Meinung und hat auch keinen Nachrichtenwert. Im Allgemeinen gilt doch: Die journalistische Freiheit ist nicht absolut, sondern basiert in einer demokratischen Gesellschaft auf Verantwortungbewusstsein, sowie den Menschenrechten und dem Grundgesetz.

 

Liebe Frau Koch, als Chefredakteurin von BILD haben Sie die Möglichkeit, maßgeblich das gesellschaftliche Klima Deutschlands zu beeinflussen. BILDs verachtendes Frauenbild hat in unserem Land nichts verloren – dem stimmen auch unsere knapp 100 Unterstützerinnen und Unterstützer aus Gesellschaft und Politik zu.

 

Frau Koch, wir bitten Sie, neue Akzente gegen den allgegenwärtigen Sexismus in BILD zu setzen und Frauen und Männer respektvoll und auf Augenhöhe darzustellen. Berichten Sie über Frauen genauso, wie sie über Männer berichten: über ihre Arbeit in Bereichen wie Sport, Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. BILD muss endlich damit aufhören, Frauen täglich als passive Lustobjekte zu präsentieren.

 

Aus gegebenen Anlass möchten wir Sie auch bitten, in der Berichterstattung auf Bezeichnungen wie “Sex-Mob’ und ‘Sex-Gangster’ zu verzichten, denn sexualisierte Gewalt hat nichts mit Sex, sondern ausschließlich mit Macht zu tun. Derartige Begriffe verharmlosen die Gewalttaten und verhöhnen die Opfer.

 

Wir würden uns freuen, mit Ihnen im Dialog zu bleiben und stehen gerne für Rückfragen oder Kommentare zur Verfügung.

 

Herzliche Grüße

 

StopBildSexism"

 

Die Petition der Kampagne StopBildSexism wurde mehr als 57.000 mal unterschrieben und die Kampagne wird offiziell unterstützt von knapp 100 anerkannten Organisationen und Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. Dazu gehören:

 

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Bundestagspräsidentin a.D.)

 

UN Women Deutschland

 

Selmin Çalışkan (Generalsekretärin Amnesty International Deutschland)

 

Renate Künast (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Katja Kipping (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Cem Özdemir (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Jasmin Tabatabai (Schauspielerin und Musikerin)

 

Deutscher Frauenrat

 

Elke Ferner (Parlamentarische Staatssekretärin)

 

Jugenddeligierte der Vereinten Nationen

 

Aktionsbündnis muslimische Frauen in Deutschland e.V.

 

Frauenwerk der Evangelisch-methodistischen Kirche

 

Katholischer Deutscher Frauenbund e.V.

 

Jusos in der SPD

 

Terry Reintke (Mitglied des Europäischen Parlaments)

 

Ska Keller (Mitglied des Europäischen Parlaments)

 

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Sönke Rix (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Prof. Dr. Angela Kolb (Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt)

 

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Deutschen Bundestags)

 

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Deutschen Bundestags)

Raul Krauthausen (Aktivist)

Laura Bates (Aktivistin)

Der Brief in taz

Die taz berichtet über unseren offenen Brief - in der Printausgabe und online.