BILD für Frauenrechte... Finde den Fehler!

Am 12.12. veranstaltet die Axel Springer AG, unter ausdrücklicher Einbeziehung der BILD, ein Filmfestival unter dem Titel „Censored Women’s Film Festival 2016.“ Mit dem Ziel, Zitat, „to amplify the stories that most need telling.” Also die Geschichten unterdrückter und ‘zensierter’ Frauen.

 

Die Geschichte, die das Festival hauptsächlich zu erzählen scheint, lautet allerdings: ‚der Islam‘ sorgt für Frauenfeindlichkeit und Gewalt, ‚wir‘ haben solche Probleme nicht. Gerade für ein Medium wie die Bildzeitung, das tagtäglich zu einem frauenfeindlichen gesellschaftlichen Klima beiträgt, eine starke Behauptung.

 

Denn wer entscheidet, wessen Geschichten es sind, die am dringendsten erzählt werden sollten – und wie?

 

Gayatri Spivak, postkolonialistische und feministische Wissenschaftlerin und Autorin, schreibt über das Motiv der „white men saving brown women from brown men.“ Die Idee, dass Women of Color von weißen Männern (oder auch weißen Frauen) gerettet werden müssen, so Spivak, sagt noch nichts über die tatsächlichen Bedürfnisse dieser Frauen aus. Sie ist vielmehr ein Mittel, um die Eingreifenden als ‚gut‘, ‚zivilisiert‘ und moralisch überlegen darzustellen, und gegebenenfalls auch illegale oder moralisch zweifelhafte Eingriffe zu rechtfertigen.

 

Das Censored Women’s Festival führt sich auf den Film Honor Diaries zurück, dessen Produzent*innen zu 80% weiß und zu 50% männlich zu sein scheinen.* Die eine nicht-weiße Frau in der Runde ist Ayaan Hirsi Ali – bekannt für die Position, „der“ Islam sei frauenfeindlich und schade einer aufgeklärten europäischen Gesellschaft.

 

Heißt das, die auf dem Festival vorgestellten Filme sind per se schlecht, oder die in ihnen angeschnittenen Themen sollten nicht (oder jedenfalls nicht von diesen Filmemacher*innen) behandelt werden?

 

Nein.

 

Zunächst: Natürlich ist es wichtig, über Themen wie Gewalt gegen Frauen,

Genitalverstümmelung, Ehrenmorde, usw. zu berichten und gegen sie vorzugehen. Dokumentationen können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, weil sie diese Themen Menschen zugänglich machen, die ansonsten nicht damit konfrontiert wären.

 

Und: Natürlich können solche Filme nicht nur von Filmcrews gedreht werden, die ausschließlich aus Frauen bestehen, die von genau diesem Problem betroffen waren oder sind. Weiße können natürlich Dokumentationen über Nichtweiße produzieren, und Männer Dokumentationen über Frauen. Aber: wo die Auseinandersetzung zu einem Thema von Mitgliedern einer Gruppe bestimmt wird, die von der thematisierten Diskriminierung profitiert – also etwa, wo Männer eine Diskussion über Feminismus dominieren – sollte mensch skeptisch sein, welche Interessen die Auseinandersetzung verfolgt.

 

Die im Rahmen des Censored Women’s Film Festival gezeigten Filme scheinen sich ausschließlich mit Gesellschaften oder gesellschaftlichen Minderheiten zu befassen, die vom Islam geprägt sind - ohne das als inhaltlichen Fokus anzugeben. Viele der auf der Website wiedergegebenen Trailer vermitteln darüber hinaus das Gefühl, darin läge ihr Problem. Die Frauenfeindlichkeit, die in den Filmen portraitiert wird, wird durch die Gesamtpräsentation des Filmfestivals sehr klar als etwas präsentiert, das seine Wurzel im Islam hat. Es handelt sich nicht um durch den Islam gerechtfertigte Gewalt, sondern um eine Gewalt, die der Islam unweigerlich mit sich bringt.

 

Und genau darin, in Verbindung mit der Tatsache, durch wen das Festival organisiert und präsentiert wird, liegt ein Problem. Die Zusammenstellung zielt nicht darauf ab, sich mit den einzelnen Problemen und ihren Lösungen zu befassen, sondern stellt sie als dubiose, von ‚den Anderen‘ ausgehende Gefahr dar.

 

Als Teil eines gesellschaftlichen Klimas, in dem mehr und mehr ein ‚wir‘ gegen ‚die‘ (Muslime, Flüchtlinge, Ausländer, …) forciert wird, hat diese Aussage eine alles andere als feministische Wirkung, ganz entgegen dem Anstrich, den sich das Censored Women Film Festival gibt. „Wir“ – das heißt der Westen, das christliche Abendland, Europa, die Weißen,… erfahren und verüben anscheinend keine  Gewalt gegen Frauen.

 

Die sehr wohl existierenden Probleme mit frauenfeindlicher Gesinnung auch in ‚unseren‘ Gesellschaften werden regelrecht klein geredet. Auf der anderen Seite lässt die Darstellung nichtweißer Frauen es kaum zu, diese als Akteuerinnen zu sehen – eine Position, die zu politischer Organisation und wirksamem Aktivismus fähig ist, wäre schließlich nicht vereinbar mit der Ausnahmestellung besonders mutiger ‚Einzelfälle,‘ die sich ihrem schrecklichen Schicksal entzogen haben. Und die damit eine gute Story abgeben.

 

Dass solche Aussagen überhaupt durch ein sich vorgeblich um Frauenrechte drehendes Filmfestival verbreitet werden, ist traurig. Dass sie unterstützt werden durch die BILD, die tagtäglich Sexismus und die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen zelebriert, ist reine Scheinheiligkeit.

 

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Facebook-Seite des Events

Website des Festivals 

Festival bei FilmFreeway

 

Spivak, G. C. 1994: Can the subaltern speak? In P. Williams, L. Chrisman (Hg.), Colonial Discourse and Post-Colonial Theory. A Reader. New York: Columbia University Press, 271–313.

 

 

 

*Weder Geschlecht noch rassistische Benachteiligung lassen sich mit Sicherheit an Namen, Fotos und anderen einfach öffentlich zugänglichen Informationen festmachen. Nachdem dieser äußere Eindruck aber eine wichtige Rolle spielt dafür, von welchen sexistischen und rassistischen Diskriminierungen Menschen betroffen sind, nehmen wir sie für diesen Text als Grundlage.

 

 

 

Rebecca K.

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