"Unsere" Frauen als Besitz - die Debatte um "fremde" Sexualstraftäter

 

Öffentlich breitgetreten spätestens seit der Silvesternacht 15/16, momentan diskutiert als ‚problematisches Frauenbild von Flüchtlingen‘: deutsche Medien, allen voran die BILD, lieben die Idee des notgeilen und/oder frauenverachtenden Ausländers, der sich an weißen Frauen vergeht. Ob es nun um Abschiebung verurteilter Vergewaltiger geht oder um die Einschränkung von Zugang zu Diskotheken und Schwimmbädern für Männer mit einem bestimmten Aussehen/einer bestimmten Nationalität/einer bestimmten Sprache: zwei Grundgedanken scheinen der Berichterstattung zu Grunde zu liegen.

 

  1. ‚Die‘ bedrohen ‚unsere Frauen.‘ (oder auch: ‚Die‘ bedrohen ‚uns.‘ Allerdings scheint es Menschen, die sich zu diesem Thema äußern, überwiegend nicht um ihren eigenen Schutz zu gehen. Darum an dieser Stelle: Hallo weiße deutsche Männer, ich bin eine von diesen weißen deutschen Frauen, die ihr so bedroht findet. Und ich will euren Schutz nicht, wenn er nur der fadenscheinigen Verhüllung eures eigenen Rassismus dient.)
  2. Räumliche Trennung von ‚denen‘ und ‚uns‘ wird irgendwie zu adäquatem Schutz führen.

 

 

Die BILD mischt natürlich bei all dem gehörig mit, spekuliert, ob Abschiebung nicht ein Abschreckungsmechanismus sein könnte, sieht die wiederholte Einreise eines Vergewaltigers als Beleidigung für ‚Deutschland‘ (statt als  Gefahr konkret für die Frauen, denen er begegnet), und befürchtet, Schwimmbäder würden von ausländischen ‚Sex-Mobs‘ überrannt. Zuletzt, wie von uns bereits berichtet, titelte sie anscheinend völlig unbedacht ihrer eigenen Inhalte: „Ist das Frauenbild der Flüchtlinge ein Problem?“ 

 

Übersetzung: „Können wir nicht einfach ‚die‘ wieder loswerden und damit alle ‚unsere‘ Probleme mit Sexismus und Gewalt gegen Frauen lösen?“
Das ist vor allem eins: rassistische und sexistische Kackscheiße. Halten wir mal fest:

 

 

  1. Körperliche Unversehrtheit ist ein Menschenrecht, egal, woher jemand kommt. In Deutschland gibt es zu Recht keine Körper- und Todesstrafen, weil es niemandem zusteht, in diese Unversehrtheit eines anderen Menschen einzugreifen. Zum Glück käme in der Regel niemand auf die Idee, für Grapschen eine Auspeitschung oder für Vergewaltigung die Todesstrafe zu verordnen. Sobald es aber um Nichtdeutsche geht, die deutsche Frauen belästigen/belästigt haben sollen, rückt die Überlegung scheinbar in sehr große Nähe. Sie wird zwar nicht so ausgedrückt. Stattdessen wird von Abschiebung und dem Schutz ‚unserer Werte‘ geredet… ohne sich dazu zu äußern, welche Konsequenzen das für Abgeschobene haben könnte, die in ihren Herkunftsländern Krieg, Verfolgung, Zwangsmilitärdienst oder Hunger ausgesetzt wären.
  2. In dieser Logik geht es allein um den ‚Schutz‘ weißer deutscher Frauen. Nichtdeutsche Frauen, die sich in Deutschland aufhalten (und je nach Aufenthaltsstatus besonders abhängig sind von den deutschen Männern, mit denen sie es zu tun haben!), sowie deutsche Women of Color tauchen nicht auf. Wenn also einer dieser gefährlichen Ausländer eine Frau belästigt, die nicht zu ‚unseren‘ gehört – ist das dann weniger schlimm? Und glaubt irgendjemand ernsthaft, Frauen, die fürchten müssen, ihre übergriffigen Männer/Freunde/Familienmitglieder/Bekannten würden ihren Aufenthaltsstatus verlieren, werden dadurch eher in die Lage versetzt, Anzeige zu erstatten?
  3. Anschließend an diesen Punkt: Die Abschiebungs-Rhetorik geht davon aus, dass Sexualstraftaten nur dann ein Problem sind, wenn sie in Deutschland passieren. Wo Täter aufgrund ihres Frauenbildes gewalttätig werden, ist dieses Problem nicht gelöst, wenn sie wieder in ihre ‚Herkunftsländer‘ verfrachtet werden. Aber anscheinend sind Frauenrechte für die Vertreter dieser Logik nur vor der eigenen Haustür interessant. Ginge es tatsächlich darum, insgesamt für eine Verminderung von Gewalt gegen Frauen zu sorgen, müsste man sich anstatt für Abschiebung dafür einsetzen, dass vernünftige Aufklärungsprogramme über einvernehmlichen Sex und respektvollen Umgang mit Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht allgemein zugänglich sind. Und dass Menschen, die dennoch sexuell übergriffig werden, dafür angemessen bestraft bzw. von einer Wiederholung ihrer Tat (z.B. durch Gefängnisstrafe) abgehalten werden.
  4. Die Konzentration auf von Flüchtlingen begangene Straftaten (die gemessen an allen Fällen sexueller Gewalt in Deutschland einen kleinen Prozentsatz ausmachen) suggeriert, sexuelle Übergriffe wären besonders schlimm, wenn sie  von ‚den Anderen‘ kommen. Wäre dem nicht so, müssten wir uns genauso darüber unterhalten, wie wir weiße deutsche Männer möglichst weit von Frauen fernhalten, die sie potentiell belästigen könnten. Während mir aber beispielsweise die Forderung, Nichtdeutsche/Geflüchtete/…, aus Schwimmbädern, Bars, Discos, etc. auszuschließen (oder zumindest zuvor einem Benimmkurs zu unterziehen), inzwischen mehrfach begegnet ist, fehlt dieser Ansatz in Bezug auf Männer im Allgemeinen. Ganz davon abgesehen, ob es generell zielführend wäre, sexuelle Belästigung durch den Ausschluss bestimmter Gruppen zu bekämpfen: dass dieser Ansatz im Bezug auf manche Gruppen verfolgt wird, in anderen Kontexten (Stichwort Oktoberfest!) sexuelle Belästigung und Vergewaltigung aber kaum überhaupt Aufmerksamkeit bekommen, zeigt, worum es hier wirklich geht. Frauen, die von weißen Deutschen vergewaltigt und belästigt werden, werden nicht nur allein gelassen, sondern ihre Erfahrungen auch noch weiter verharmlost.

 

 

 

 

 

Nach der Polemik noch ein bisschen Theorie gefällig?

 

Die Vorstellung, dass Geschlechterverhältnisse und Sexualität ein Problem darstellen, wo sie nationale ‚Außenseiter‘ betreffen, speist sich aus der Idee, dass Nationen aus genormten Familienbeziehungen entstehen. Mitglied einer Nation wird mensch durch Geburt (also als biologisches Produkt zweier Menschen, die zuvor dieser Nation angehört haben – somit teilen sich Mitglieder einer Nation, wenn alles ‚nach Plan‘ verläuft, äußere Merkmale wie Hautfarbe, Gesichts- und Haarstrukturen, etc.) Da diese Idealvorstellung oft einhergeht mit der Idee, dass Kinder in der Kleinfamilie großgezogen und erzogen werden, ist auch die Idee einer nationalen Wertegemeinschaft eng an das Familienbild gekoppelt – du hast deine Werte, weil deine Eltern sie schon vor dir hatten.

 

Diese beiden Vorstellungen, ‚ethnische‘ und sozial-moralische Zugehörigkeit, sind so eng verknüpft, dass ‚Außenseiter‘ es schwer haben, ihre Zugehörigkeit zu demonstrieren: Sie können noch so oft ihre Identifikation mit einem Wertesystem beteuern, das die Nation sich anheftet, so lange sie als ‚anders‘ wahrgenommen werden, wird diese Identifikation immer in Zweifel gestellt. In Europa, und in Deutschland insbesondere, hat sich ein Selbstbild etabliert, das davon ausgeht, zum eigenen (bereits allgemein akzeptierten) Wertesystem gehörten auch und vor allem Gleichberechtigung der Geschlechter und sexueller Minderheiten. Fatima el-Tayeb schreibt dazu, um dieses Selbstbild aufrecht zu erhalten, würden ‚Andere‘ – in diesem Beispiel vor allem muslimische Männer –  beschuldigt, besonders frauenfeindlich und homophob zu sein. Selbst queere und/oder feministische Muslim*innen gelten allenfalls als befreit, soweit es ihnen im Rahmen ihrer Kultur möglich ist, alles in allem aber doch dem toleranten Mainstream einen Schritt hinterher.

 

Die Verknüpfung von Familie und Nation erklärt auch, warum ‚traditionelle‘ Geschlechterrollen und heterosexistische Familienbilder so attraktiv sind für Nationalist*innen: Wenn die ‚eigenen‘ Frauen diejenigen sind, die die neuen Mitglieder der Nation zur Welt bringen, werden sie schnell zum Symbol des nationalen Fortbestehens und einer nationalen ‚Ehre.‘ Das macht sogar freiwilligen Sexualkontakt mit ‚Außenseitern‘ der Nation, sowie Sexualstraftaten, die durch andere Motive erklärbar sind (etwa toxische Maskulinität und rape culture) zu einem Angriff auf die nationale Gruppe.

 

Und zu ‚guter‘ Letzt: Wenn der einzig legitime Betrag zur Fortpflanzung der Nation das eigene Kinderkriegen ist, werden auch Familien, zu deren Lebensentwurf das nicht gehört – allen voran gleichgeschlechtliche Paare, ob mit oder ohne Kinder – suspekt in dem, was sie für ‚die Nation‘ noch tun.

 

 

Fazit, wie so oft: Wer von der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen in BILD und Co profitiert, sind nicht Frauen, sondern vor allem weiße, heterosexuelle Männer. 

 

 

Rebecca K. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0