Es ist (endlich) genug Ehe für alle da - wirklich?

Das Konfetti ist aufgekehrt, die Sektkorken eingesammelt, und nach der großen Feier am Freitag nehmen wir uns Zeit, einen nüchternen Blick auf die Ehe für alle zu werfen und zu fragen: sind wir schon da, wo wir hinwollen? Zum einen stellt sich die Frage ob unsere Gesellschaft denn wirklich schon so weit ist wie das Gesetz es darstellt. Zum anderen kommt eine ganz andere Frage auf: Geht unser Konzept von Ehe überhaupt weit genug?

 

In seiner Pressemeldung vom Freitag schreibt das Regenbogenreferat der Uni Freiburg: „Das Ja zur "Ehe für alle" haben wir uns immer menschlicher, enthusiastischer und auf Grundlage der Menschenrechte, anstatt auf der Grundlage einer anstehenden Wahl vorgestellt.“ Dieses Signal fehlt tatsächlich – In der Berichterstattung, die sich gerne über Merkels „Patzer“ und den „Ehekrach der GroKo“ amüsiert, ebenso wie in der tatsächlichen Abstimmung. Denn bei aller Freude über 394 Abgeordnete, die ihre Stimme für die Gleichstellung abgegeben haben – die 226 Gegenstimmen sind ebenso Teil unserer politischen Realität und vertreten einen nicht leiser werdenden Teil unserer Gesellschaft.

 

 

In Teilen der medialen Reaktion auf die Abstimmung schlägt sich einmal mehr nieder, dass die Ehe für alle längst noch nicht die gesetzgewordene gesellschaftliche Realität darstellt. Besondere Aufmerksamkeit hat unter den reaktionären Kommentaren bisher ein FAZ-Gastbeitrag erhalten, in der gleichgeschlechtlich liebenden Menschen eine fehlende moralische Grundlage und eine Neigung zum Missbrauch eventueller Adoptivkinder unterstellt wird. Auch, wenn sich der Name, unter dem der Kommentar erschienen ist, mittlerweile als Pseudonym herausgestellt hat – dass eine Meinung wie diese überhaupt in einer Mainstream-Zeitung wie der FAZ erscheinen konnte, ist verstörend. 

BILD hält sich ausnahmsweise vornehm zurück mit menschenverachtender Berichterstattung – auch wenn viele Schlagzeilen noch von der „Ehe für alle“ in Anführungszeichen sprechen und der überholte und betont auf Andersartigkeit abhebende Begriff „Homo-Ehe“ weiterhin genutzt wird und ohne diese Relativierung auskommt. Diese weder positiv noch negativ positionierende Haltung könnte Ausdruck einer neuen journalistischen Neutralität sein, wenn sie nicht so hervorragend zur vordergründig queer-freundlichen, unter dem Regenbogenmäntelchen homophob-skandalisierenden Berichterstattung passen würde, die wir an der „Queer BILD“ schon länger kritisieren. Erinnern wir uns an dieser Stelle daran, dass BILD gerne mit dem Schimpfwort „Transe“ um sich wirft, an Lesben vor allem interessant findet, warum Männer zwei knutschende Frauen heiß finden, und behauptet, ein Outing als schwul käme quasi einer Folter für Expartnerinnen gleich. Und lassen wir uns von der momentan toleranten Fassade nicht über den üblichen BILD-Mist hinwegtäuschen. 

zur Erinnerung - das ist der übliche Umgangston der BILD, wenn es um queere Menschen geht
zur Erinnerung - das ist der übliche Umgangston der BILD, wenn es um queere Menschen geht

Aber aller Vorsicht zum gesellschaftlichen Klima zum Trotz – ist die Ehe für alle nicht rein rechtlich trotzdem ein riesiger Schritt nach vorn? Ja. Nur ist damit die Zielgerade eines feministischen Partnerschaftsrechts, der alle Menschen gleichstellt, leider noch nicht erreicht.

 

Der bisherige Text des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautete in Paragraph 1353: „(1) Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.“ Da diese Formulierung jahrzehntelang als „Ehe gleich heterosexuell monogame Beziehung“ ausgelegt wurde, soll der Text in Zukunft klarstellen, dass Ehen gleichgeschlechtlich sein können.

 

Da es in Deutschland für intergeschlechtliche Personen möglich ist, keinen gesetzlichen Geschlechtseintrag zu führen, würde ein Ehegesetz, das auf einer „gleich- oder unterschiedlich geschlechtlichen“ Partnerschaft besteht, diese Personen möglicherweise ausschließen. Ein weiterer Punkt, in dem auch das neue Gesetz der Realität zurückbleibt, ist die Beschränkung der Ehe auf zwei Personen. Die Übernahme von Verantwortung für (ob romantische oder platonische) Partner*innen und gemeinsame Kinder geschieht bereits heute in Konstellationen, die über romantisch-sexuelle Zweierbeziehungen hinausgehen– darunter fallen Patchworkfamilien, Freundschaften, Großfamilien und viele mehr.

 

Warum also sollte das Gesetz nicht all diese Beziehungen rechtlich so absichern, wie es ihrer emotionalen und praktischen Bedeutung entspricht? Dafür, das umzusetzen, gibt es unterschiedliche Strategien. In Kolumbien wurde dieses Jahr die polyamouröse Ehe eingeführt. In Großbritannien wurde wiederholt diskutiert, ob zivile Lebenspartnerschaft (eine neben der gleich- und andersgeschlechtlichen Ehe bestehende Partnerschaftsform, die der eingetragenen Lebenspartnerschaft ähnelt) auch zwischen Geschwistern möglich sein sollte.

 

Grundsätzlich gäbe es die Möglichkeit, verschiedene Rechte-Pflichte-Kombinationen als gesetzlich anerkannte Partnerschaften zu ermöglichen – oder aber bisher an die Ehe gebundene Rechte und Pflichten gänzlich von einander zu entkoppeln. Das bedeutet allerdings, dass viele Einzelaspekte der Ehe weiterer Diskussion bedürfen: Wie lässt sich sicherstellen, dass durch Steuervorteile tatsächlich die in einer Beziehung geleistete Pflegearbeit – ob nun für einander oder für Kinder – entlohnt wird, und nicht ein Karriereknick, meist von mit Männern verheirateten Frauen? Braucht es wirklich eine Partnerschaft, um den Wunsch zu rechtfertigen, gemeinsam im selben Land zu leben, und dementsprechend aus einer Beziehung Auswirkungen für die Aufenthaltsgenehmigung einer nicht-deutschen Person abzuleiten? Und Wem sollte es unter welchen Bedingungen erlaubt sein, Kinder zu adoptieren, durch künstliche Befruchtung zu bekommen und großzuziehen?

 

 

Alle diese – und weitere – Fragen wurden durch die Ehe für alle leider nicht abschließend geklärt. Also esst euch satt an der Hochzeitstorte, wir haben noch einen langen Weg vor uns. 

 

Rebecca Knecht