„Viele Menschen checken nicht mehr, was Sexismus überhaupt ist, weil er so ein hartnäckiger Bestandteil unserer Gesellschaft geworden ist.“  Interview mit Tarik

 

 

Video-Blogger Tarik Tesfu unterstützt StopBildSexism seit März 2015. Charmant und geistreich setzt sich Tarik in seiner wöchentlichen Meinungskolumne mit diversen Genderthemen auseinander. In seinem Youtube-Kanal erklärt er mit viel Ironie und Witz wo und weshalb sexistische, rassistische und homophobe Diskriminierung existiert und erklärt warum sie in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen. Auch zum Sexismus in der BILD-Zeitung hat Tarik einen schlagfertigen Clip produziert, den man hier sehen kann.

 

 

 

Aus welchen Gründen hast du angefangen, dich für Gender-Gerechtigkeit einzusetzen? Gab es eine bestimmte Situation, die der Auslöser war?

Vor meinem Studium habe ich in Berlin eine Ausbildung zum Erzieher absolviert und habe mich währenddessen mit dem Gender-Marketing von Klamottenläden, wie H&M oder C&A beschäftigt. Ich war überrascht darüber, wie die Textilbranche Geschlecht konstruiert und habe mich im Anschluss sehr für genderneutrale Erziehung interessiert. Während bei den Kleidungen der Mädchen alles schön in rosa und mit Prinzessinnen-Prints versehen ist, dürfen die Boys mit ihrer Kleidung ausdrücken, dass ihnen die Welt als Pirat oder Superheld zu Füßen liegt.

Nach der Ausbildung konnte ich dann in Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaften sowie Gender Studies im Nebenfach studieren. Schnell war mir klar, dass ich unbedingt ein Medienprodukt erstellen möchte, das sich für Gender-Gerechtigkeit und gegen Sexismus, Homophobie und Rassismus einsetzt.

 

In welchen Bereichen des öffentlichen Lebens wird Sexismus in deinen Augen am wenigsten hinterfragt und somit passiv akzeptiert?

Ich habe manchmal das Gefühl, dass Sexismus in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens unhinterfragt bleibt. Viele Menschen checken nicht mehr, was Sexismus überhaupt ist, weil Sexismus und und auch sexuelle Übergriffe so ein hartnäckiger Bestandteil unserer Gesellschaft geworden sind. Zum Beispiel wenn ich mir vorstelle, dass beispielsweise Frauen auf Messen als Eye Candy eingestellt und ein Po-Grapscher schon fast zum guten Ton gehört. Und wenn dann eine Frau ganz klar Grenzen zieht, wird sie ja auch mal gerne als frigide oder hysterisch abgestempelt.

Oder Frauen wird gesagt: „Zieh dir halt was anderes an“, dann macht dich auch niemand an. Anstatt das Verhalten der Person zu kritisieren, die sich sexistisch verhält, wird Frauen dazu geraten sich anders zu verhalten, was absoluter Humbug ist. Es muss einfach ein kollektives Bewusstsein geschaffen werden, dass eine Person, die Sexismus oder sexuelle Gewalt erfährt, niemals selbst Schuld daran ist. Und dieser Schritt ist extrem wichtig, damit Sexismus/sexuelle Übergriffe eben nicht bagatellisiert und passiv akzeptiert werden.

 

In deinem Studium war Publizistik- und Kommunikationswissenschaften dein Hauptfach. Warum ist es wichtig bei den Medien anzufangen, wenn man für die Gleichberechtigung aller Menschen kämpft?

Sich die Medien vorzuknüpfen, um auf diesem Wege Gender-Gerechtigkeit zu erlangen, ergibt in meinen Augen besonders aus zwei Gründen Sinn:

Erstens sind die Medien ja voll von Sexismus, Homophobie und Rassismus. Das fängt dabei an, wer überhaupt die Jobs bei den großen Medienhäusern bekommt, wer in der Chefradaktion hockt und endet dann natürlich beim Medienprodukt, also was und vor allem wie berichtet wird.

Zweitens kann man mit einem Medienprodukt, gerade wenn man im Netz veröffentlicht, sehr viele Menschen erreichen und im besten Fall eine öffentliche Debatte ankurbeln. Bestes Beispiel ist da wohl gerade der #ausnahmslos.

Es besteht dann eben die Möglichkeit, dass alle partizipieren können und die Personen zu Wort kommen, die im klassischen Medienzirkus oft gar nicht oder extrem unterrepräsentiert sind.

 

Welche Rolle spielt hier die BILD-Zeitung?

Die BILD-Zeitung ist ein gutes Beispiel dafür, wie salonfähig Sexismus und Rassismus in Deutschland ist. Sie ist Deutschlands auflagenstärkste Zeitung und den meisten Leser_innen ist es scheinbar komplett Wurscht, wie Frauen dort dargestellt werden oder wie rassistisch über Menschen geschrieben wird , die nicht in Deutschland geboren wurden oder einen nichtdeutschen Background haben.

Es ist schon ziemlich krass, wenn ein Medium mit einer solchen Reichweite komplett auf journalistische Moral oder Ausgewogenheit verzichtet und dabei in Kauf nimmt, dass Menschen diskriminiert oder beleidigt werden.

 

Du setzt dich gegen unterschiedliche Formen von Diskriminierung ein. Welche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen Sexismus, Rassismus und Homophobie?

Die Gemeinsamkeit dieser Diskriminierungsformen besteht meiner Meinung nach darin, dass immer eine selbsternannte Mehrheit sich von einer vermeintlichen Minderheit abgrenzen will und die eigene Art und Weise zu leben oder zu handeln als oberstes Gut versteht. „Wir machen das so, die ganz anders.“ Bei Sexismus, Rassismus und Homophobie spielen auch immer Klischees und Vorurteile eine große Rolle: „Frauen sind so oder so.“ „Ausländer/Flüchtlinge verhalten sich oder so, weil sie Ausländer/Flüchtlinge sind“ oder „Schwule Männer verhalten sich so oder so, weil sie schwul sind.“ Und auch hier haben Medien eine zentrale Rolle, denn sie spielen dieses Spiel oft mit und reproduzieren Bilder von Migrant_innen oder homosexuellen Menschen, die voll von Vorurteilen und Klischees sind.

 

Das Internet bietet schützende Anonymität, was leider häufig „Trolle“ hervorlockt, also Leute, die konstruktive Diskussionen im Netz durch rassistisches oder sexistisches Pöbeln stören. Wie gehst du als Online-Aktivist damit um?

Ich habe mich dazu entschieden, die Hass-Kommentare unter meinen Videos stehen zu lassen, weil sie einfach viel über die Art und Weise verraten, wie einige Menschen im Netz kommunizieren. Da ich der festen Überzeugung bin, dass diese Person offline niemals den Mut hätten mich derart zu beleidigen, prallen solche Kommentare an mir ab und ich muss auch bei einigen teilweise schmunzeln, weil so sehr übertrieben sind.

Jetzt muss ich aber auch zugeben, dass mir, anders als bei einigen weiblichen Aktivistinnen, noch niemand mit Mord oder Vergewaltigung gedroht hat.

Das ist natürlich eine ganz andere Hausnummer und ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wie ich damit umgehen würde.

Aber auch hier wird ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sichtbar, nämlich was passieren kann, wenn eine Frau ihre Meinung sagt. Das ist eng damit verbunden, wie mit Frauen auch offline umgegangen wird, was sie vermeintlich dürfen und was nicht. Hübsch ausschauen erwünscht. Aber Haltung und Meinung haben? Um Gottes Willen…

 

Was müsste in Deutschland noch passieren, damit deine Genderkrise gelöst wird?

Erst einmal glaube ich, dass meine Genderkrise niemals komplett gelöst wird.

Denn Sexismus, Rassismus und Homophobie werden immer Teil einer Gesellschaft sein. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Wir sollten anfangen wir über diese Diskriminierungsformen öffentlich zu diskutieren.

Was ich prima fände: Wenn wir nicht mehr über die „Homo-Ehe“ und „Die Ehe“ sprechen würden, sondern einfach über die Ehe zwischen zwei Menschen. Wenn eine Muslima mit Kopftuch die Tagesschau moderieren würde. Wenn eine schwarze, lesbische Tatortkommissarin in Passau auf Streife gehen würde. Wenn sich niemand mehr fragen würde, ob es denn „normal“ sei, wenn ein Mensch sich für eine Geschlechtsangleichung entscheidet oder ein Kind zwei Väter oder zwei Mütter oder auch eine ganz andere Konstellation gelebt wird.

Und wenn dann auch noch die BILD-Zeitung ein ausgewogenes Blatt ohne Sexismus, Rassismus und Homophobie ist und Birgit Kelle uns mit ihren kruden Ansichten und nervigen Büchern in Ruhe lässt, dann wäre ich schon recht zufrieden und könnte vielleicht an den eigenen Ruhestand denken. Dauert aber glaub ich noch ein bisschen…

 

Lieber Tarik, wir danken dir für dieses Interview.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0